Physische Vorbereitung auf einen Wanderritt
von Mag. Michaela Bociurko (erschienen IIO 1/2015)
Wanderreitpferde müssen über sehr lange Strecken eine konstante Leistung erbringen – und dies bei stetig wechselnden Geländebedingungen (Steigungsgrad, Bodenbeschaffenheit etc.). Dabei sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass Wanderreitpferde nicht nur Reiter und Sattelzeug, sondern auch zumindest einen Teil der für den Wanderritt erforderlichen Ausrüstung tragen. Beim Training für einen Wanderritt sollte deshalb der Fokus primär auf Ausdauer, aber auch auf Muskelkraft, Koordinationsfähigkeit und Trittsicherheit gerichtet sein.
Aber wie trainiert man eigentlich Ausdauer? Nun, im Prinzip verhält es sich hier beim Pferd ähnlich wie beim Menschen, der Ausdauersport betreibt. Als Faustregel gilt: Trainieren sie lange und langsam. Wer Kondition aufbauen möchte, plant eher längere Trainingseinheiten und trainiert vorwiegend im aeroben Bereich. Aerobes Training bedeutet, vereinfacht gesagt, dass dem Körper während des Trainings ausreichend Sauerstoff für seine Energiebereitstellung zur Verfügung steht. Und dies ist wichtig, denn die Ausdauerleistungsfähigkeit, also die Fähigkeit, eine Leistung ohne nennenswerte Ermüdung über einen längeren Zeitraum zu erbringen, hängt stark von der Sauerstoffaufnahme und der Versorgung der Muskulatur mit selbiger ab. Im aeroben Stoffwechsel wird durch Oxidation von Glucose und freien Fettsäuren das für die Muskelkontraktion erforderliche ATP (Adenonsontriphosphat) gewonnen. Anaerob (also bei unzureichender Sauerstoffzufuhr) wird auch ATP gebildet – doch der Zeitraum der Energiebereitstellung (und somit die mögliche Belastungsdauer) ist hier deutlich kürzer. Zudem kommt es bei der anaeroben Energiebereitstellung zu vermehrter Bildung von Lactat, also Milchsäure, die – zumindest bislang – verantwortlich gemacht wurde für Muskelübersäuerung und Leistungseinbruch durch Ermüdung.
Um zu gewährleisten, dass Sie ihr Pferd vorwiegend im aeroben Modus trainieren, sollte die Intensität des Trainings somit eine gewisse Leistungsschwelle nicht überschreiten. Nun ist es freilich relativ schwer, diesen optimalen Belastungswert beim Pferd zu eruieren. Beim Menschen würde man im Rahmen von Belastungstests Laktatwerte und Herzfrequenz ermitteln. Beim Pferd empfiehlt es sich, die PAT Werte (Puls, Atmung, Temperatur) heranzuziehen. Um einen geeigneten Belastungswert festzulegen, sollten Sie bei Ihrem Pferd den Ruhepuls (durchschnittlich 28-40 Schläge pro Minute) sowie den Puls bei maximaler Arbeit (durchschnittlich 200-250 Schläge pro Minute) kennen. Als einfache Faustregel gilt: Bei Training im aeroben Bereich sollte der Puls zwischen 15 und 50% der Maximalherzfrequenz liegen. (Rechenbeispiel: Die Maximalherzfrequenz Ihres Vierbeiners liegt bei etwa 220 Schlägen pro Minute. Um ein aerobes Training zu gewährleisten, sollte seine Herzfrequenz nicht über 110 Schläge pro Minute steigen). Der Schwellenwert zum anaeroben Bereich wird allgemein bei 70 % der Maximalherzfrequenz angenommen, ist de facto jedoch von Pferd zu Pferd unterschiedlich. Sollten Sie noch nie bei Ihrem Pferd Puls gemessen haben, lassen Sie es sich am besten von Ihrem Tierarzt zeigen. Für alle Wanderreiter empfiehlt sich die Anschaffung eines Pulsmessgerätes, das auch beim Ritt mitgeführt werden sollte.
Auf die Bedeutung von Sauerstoff für das Ausdauertraining wurde bereits hingewiesen, weshalb auch der Atmung des Pferdes während des Trainings Beachtung geschenkt werden sollte. Die Atmung ist ein guter Indikator für den Trainingszustand des Pferdes. So kann man etwa überprüfen wie lange ein Pferd nach Anstrengung benötigt bis es wieder normal atmet. Je schneller dieser Wert sinkt, umso trainierter ist das Pferd. Wer es akribisch liebt, kann während des Trainings auch ein Logbuch führen und so alle Trainingswerte im Auge behalten.
Die wesentlichsten Empfehlungen für Sie zusammengefasst:
- Beginnen Sie schon möglichst frühzeitig mit dem Training für Ihren Wanderritt (Optimalerweise mehrere Monate im Vorfeld).
- Setzen Sie auf ein langfristiges, kontinuierliches Training.
- Zu Anfang jeder Trainingseinheit beginnen Sie mit einer Aufwärmphase im Schritt um die Thermoregulation, den Energiestoffwechsel und die Muskeldurchblutung zu verbessern. Beenden Sie jede Trainingseinheit abermals mit einer längeren ruhigen Schrittphase.
- Trainieren Sie mehrmals wöchentlich mit längeren Trainingseinheiten (Für längere Ritte durchaus auch mehrere Stunden) bei niedriger Intensität (viel Schritt).
- Steigern Sie allmählich die Intensität (z.B. durch Verlängerung der Trab- oder Töltstrecken oder durch stärkere Steigungen im Gelände etc.).
- Achten Sie dabei darauf, dass sich die Herzfrequenz Ihres Pferdes während der gesamten Trainingseinheit vorwiegend im aeroben Bereich befindet.
- Bringen Sie Spaß und Abwechslung in Ihr Training. Scheuen Sie sich z.B. nicht, auch Dressurlektionen oder Geschicklichkeitsaufgaben in Ihre Geländetour einzuplanen. Betrachten Sie Hindernisse als eine Einladung um Koordinationsfähigkeit und Hinterhand Ihres Vierbeiners zu stärken. Nutzen Sie Bachläufe, Mulden und Hügel um die Trittsicherheit Ihres Vierbeiners zu verbessern.
- Bei fortgeschrittenem Trainingszustand gewöhnen Sie Ihr Pferd auch allmählich an die zusätzliche Ausrüstung (Satteltaschen) und das Gewicht des Gepäcks.
- Nicht zu vergessen: Machen Sie sich auch selbst fit für den nächsten Wanderritt, denn dieser stellt nicht nur Anforderungen an das Pferd sondern auch an den Reiter. Lassen Sie sich von einem geeigneten Trainer Turnübungen zeigen um Ihre Beweglichkeit und Ihren Sitz zu verbessern. Führen Sie Ihr Pferd auch mal eine längere Strecke oder absolvieren Sie mit ihm gemeinsam einen selbst errichteten Horse Agility Parcour. Das macht Spaß und fördert die Kondition und das partnerschaftliche Zusammenspiel von Reiter und Pferd.
- Und ganz wichtig: Denken Sie rechtzeitig vor Ihrem Ritt an den Beschlag! Alte Eisen sind auf einem Wanderritt tabu. Ebenso ungeeignet ist ein ganz frischer Beschlag, da sich dieser unbedingt im Vorfeld bewähren sollte, ehe zu einem längeren Ritt aufgebrochen wird. Allgemein empfohlen werden mindestens 1 Woche alte Eisen. Aus eigener Erfahrung würde ich aber eher 2 Wochen empfehlen.